Wer ist das?

Maria Szymanowska, „das größte Talent gleichsam nur als Folie“ (Goethe) (1)

Es ist ein wundersames Paradox, wenn ein Künstler zu Lebenszeiten Gegenstand eines extremen Kults wird und nach seinem Ausscheiden aus dieser Welt schnell in Vergessenheit verdrängt wird. Ein Beispiel dafür liefert die Geschichte von Maria Szymanowska (1789-1831); das ist um so spektakulärer, da sie zu dem engen – wenn auch sich ständig verbreitenden – Kreis der Pianistinnen, Komponistinnen und Musikpädagoginnen gehört, die mit ihrer Kunst die Salons verlassen haben und auf die öffentliche Bühne gewechselt sind. Wer also war die „die zierliche Ton-Allmächtige“, wie Goethe sie zu nennen pflegte, woran Romain Rolland in seinem Buch erinnert? (2)


Ein frühes Talent

Marianna Wołowska kommt in Warschau zur Welt, in einer jüdischen Familie, die zum Katholizismus konvertierte, im Jahr der Französischen Revolution. Als Wunderkind begeistert sie mit ihren Improvisationen am Spinett. Mit acht Jahren nimmt sie ihre ersten Unterrichtstunden im Pianoforte-Spiel; ihre zwei Lehrer - Lisowski und Gremm – bleiben die Einzigen, die ihr die Grundlagen der Klavierkunst und des Wissens über die Musik beigebracht haben. Ihre ungewöhnliche Spieltechnik und ungeheuere Ausdruckskraft verdankt sie eigener angestrengter Arbeit und den Ratschlägen erfahrener Musiker, denen sie im Laufe ihrer Karriere begegnet. Sie verfolgt auch aufmerksam die Evolution von Pianoforte; ihre Präferenzen gelten eindeutig einem Modell der englischen Firma Broadwood.

In der Hauptstadt des damaligen Polens - eines Landes, das wegen der Teilung unter drei Mächten am Verfallen ist, wo man hoffnungsvoll nach Frankreich hinüberschaut - führt ihr Vater eine gut prosperierende Brauerei, die zum geheimen Treffpunkt der polnischen Patrioten wird. Zusammen mit seiner Gattin empfängt er regelmäßig Vertreter der intellektuellen und künstlerischen Eliten Europas, zu denen auch Musiker wie Paër, Franz Xavier, Mozart, Rode, Lipinski, Klengel, Lessel, Kurpiński, Angelica Catalani und Elsner, der künftige Lehrer Chopins gehören...

„Marynia”, wie man sie familiär nennt, inzwischen bekannt in den Warschauer Salons, wird 1810 nach Paris geschickt. Durch ihre Spielkunst macht sie einige berühmte Personen auf sich aufmerksam. Als Ausdruck der Bewunderung und Achtung widmet ihr der große Cherubini seine Phantasie C-dur.

Nach der Heimkehr heiratet die junge Künstlerin den Gutsbesitzer Józef Szymanowski und gebärt innerhalb kurzer Zeit drei Kinder. Die jüngere Tochter Celina wird 1834 in Paris Adam Mickiewicz, den großen polnischen Dichter, heiraten, der – wie Michelet oder Quinet – Professor im Collège de France werden wird.

Eine triumphale Karriere

In den Jahren 1815–1820 (macht) unternimmt Szymanowska ihre erste Tournee: zuerst gibt sie ein Konzert in Polen, bei Fürst Radziwiłł, dann in Dresden, Wien, London, St. Petersburg und Berlin. Es sind noch Privatkonzerte, ihr Ruhm wächst aber allmählich; sie lernt immer mehr wichtige Menschen kennen, die für ihre weitere Karriere von Bedeutung sein werden.
Sie ist nicht nur eine Virtuosin, sondern auch eine geschätzte Komponistin: drei von ihren fünf Liedern, die von Niemcewicz bestellt wurden, werden zum Bestandteil seiner 1816 herausgegebenen Historischen Lieder. Diese Sammlung, die zur (Wieder-)Belebung des Nationalbewussteins geschaffen wurde, wird im 19 Jahrhundert noch mehrmals publiziert. 1820 beginnt die Firma Breitkopf & Härtel mit der Herausgabe der Werke von Szymanowska: Ihre 20 Etüden und Präludien für Pianoforte, werden von Schumann sehr geschätzt (3). Die 6 Romanzen für Stimme mit Begleitung von Pianoforte schreibt sie zu den Texten u.a. von Shakespeare, Puschkin (Vater) und Kardinal De Bernis. In diese Zeit fällt die Trennung der Eheleute, deren Interessen nicht mehr miteinander vereinbar waren. Maria beschließt, die Töchter bei sich zu behalten und den Unterhalt von ihrer Tätigkeit als Musikerin zu bestreiten.

Konzerte und Tourneen

Die Jahre 1822–1827 bedeuten für Maria Szymanowska eine ununterbrochene Folge von Konzertreisen, auf denen sie unbestreitbare Erfolge in ganz Europa hat. Sie beginnt mit Russland: Wilna, St. Petersbug (wo sie Hummel und Field kennen lernt), Moskau, Riga, Kiew (wo sie zusammen mit Lipiński, dem „polnischen Paganini”, spielt), Lemberg... Sie bringt von der Reise den Titel„Die erste Pianistin der ehrwürdigsten Kaiserinnen” mit. Weiter führt der Weg nach Karlsbad und Marienbad, wo ihr – im Sommer 1823 – zum ersten Mal Goethe zuhört und sie gleich mit größter Verehrung behandelt; der Beweis dafür ist das Gedicht Aussöhnung (4). Auf ihren Reisen quer durch Deutschland gibt Szymanowska öffentliche Konzerte in allen Großstädten. Im April 1824 spielt sie zusammen mit dem ausgezeichneten Geiger Baillot im Pariser Konservatorium. Der Verleger Hanry veröffentlicht ihre Nokturne Le Murmure [Geräusch], die schnell sehr populär wird. Aus London (öffentliche und private Konzerte) begibt sie sich über Genf nach Italien, versehen mit einem Empfehlungsschreiben von Rossini. Im März 1825 spielt sie im Louvre, später erfährt sie noch viel Beifall in Amsterdam und London. Anschließend kehrt sie nach Warschau zurück, wo sie am 15. Januar und 7. Februar im Nationaltheater triumphiert. Unter dem Publikum befindet sich ein 17-jähriger Frederic Chopin, der ihrem Spiel aufmerksam lauscht...

Ein großangelegtes Unternehmen

Die Tourneen von Maria Szymanowska sind ein großangelegtes Unternehmen, bei dem ihr ihre Schwestern und Brüder sowie einige Betreuer, Sponsoren und Freunde helfen. Ihre Briefe an sie, Stammbücher mit Noten und Widmungen, Gedichten und Zeichnungen sind ein Zeugnis der engen Beziehungen zwischen ihnen. Fernab einer normalen Autogrammsammlung widerspiegeln diese Stammbücher die Tiefe der Beziehungen, die sie zu den Menschen aufbauen kann, und die große Ehrerbietung, die ihre Zeitgenossen ihr und ihrer Kunst entgegenbringen. Sie zeugen auch von einer gewissen Form von Unternehmertum: Die Alben, anfänglich als Ansammlungen von Anerkennungen gedacht, werden schnell zum Objekt der Begierde bei vielen prominenten Persönlichkeiten; jeder möchte sich dort gerne wiederfinden. Unter ihnen sind solche Namen wie Salieri, Beethoven, Kalkbrenner, Spontini, Paganini, Goethe, Moore, Clementi, Boieldieu, Auber, Meyerbeer, Reicha, Giuditta Pasta, Weber, Puszkin …
Am ersten November 1827 verlässt Szymanowska für immer ihre Heimatstadt und zieht nach St. Petersburg. Sie wird dort ihre Zeit verbringen, die aufgeteilt ist zwischen der Erziehung der Töchter, dem Komponieren (u.a. von Balladen von Mickiewicz, Nokturne B-dur), der Veranstaltung von Konzerten und der Erteilung von Unterricht. Ihr Salon wird von den Vertretern der kosmopolitischen Elite der russischen Hauptstadt aufgesucht, u.a. von Wiaziemski, Galicyn, Field, Glinka, Mickiewicz, Puszkin, Kryłow, Malarze Oleszkiewicz, Orłowski und Wańkowicz.
Auf dem Gipfel ihres Ruhms, verstirbt Maria Szymanowska plötzlich während der Cholera-Epidemie, die im Sommer 1831 in St. Petersburg ausbricht.

Elisabeth Zapolska Chapelle
Übersetzung: Zbigniew Zembaty

(1) « …das gröβte Talent gleichsam nur als Folie… » vom Brief von Goethe an seine Schwiegertochter Ottilie, 18.VIII.1823
(2) « die zierliche Ton-Allmächtige » im Buch von R.Rolland „Goethe et Beethoven“ , Ed.du Sablier, Paris 1931 s.135
(3) R.Schumann Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1836), Bd.I s.203
(4) Aussönung, Für Frau Maria Szymanowska, Marienbad, 1823

                                                                                                                     Auszug aus der Zeitschrift PIANO Nr 25 (2011/2012)

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